Archäologische Funde mit bundesweiter Bedeutung

Freuen sich über die sensationellen Funde (von links): Dr. Frank Verse (Leiter Vonderau Museum), Milena Wingenfeld (Stadt- und Kreisarchäologin), Grabungsleiter Dr. Thilo Warnecke, Dr. Andreas Thiedmann (Landesamt für Denkmalschutz) und Bauunternehmer Christopher Burg.

Auf den Spuren Vonderaus: Grabungsergebnisse von der Langebrückenstraße / Sensationelle Funde kurz vor Ende der Grabungen

Seit dem vergangenen Jahr haben Archäologen auf dem Gelände der künftigen Wohnanlage „An der Fulda-Aue“ in der Fuldaer Langebrückenstraße gegraben. Just dort, wo schon der Nestor der lokalen Archäologie, Prof. Joseph Vonderau, Ende des 19. Jahrhunderts bahnbrechende Funde zur frühmittelalterlichen Geschichte Fuldas machte, hatten Archäologen nun wieder die einmalige Gelegenheit im Erdreich der Fulda-Aue nach Relikten aus früheren Jahrhunderten zu forschen. Die Bedingungen dort sind außergewöhnlich: Durch das immerfeuchte Milieu können auch organische Substanzen wie Holz oder Leder über Jahrhunderte konserviert werden.

Die Grabungen im vergangenen Jahr brachten unter anderem einige ungewöhnliche Holzstrukturen zum Vorschein, die wahrscheinlich aus dem Hochmittelalter stammen noch weiter untersucht werden müssen. Auf dem zweiten Teil der Grabungen in diesem Jahr ruhten indes die besonderen Hoffnungen der Archäologen, weil – für die Ausschachtungen eines weiteren Wohnhauses – in einem Bereich gegraben wurde, der etwas höher über dem Wasserspiegel der Fulda liegt und Vonderau genau dort seine wichtigsten Funde gemacht hatte, erläuterte Stadt- und Kreisarchäologin Milena Wingenfeld bei einem Pressetermin. Allerdings erwiesen sich die Angaben und Zeichnungen aus den Jahren 1898/99 zu ungenau – dort, wo die Archäologen auf jene Schächte stoßen wollten, die Vonderau in die Tiefe getrieben hatte, fanden sie – nichts. „Das erste Drittel der untersuchten Fläche war vollkommen fundleer“, berichtete Grabungsleiter Dr. Thilo Warnecke von der Wissenschaftlichen Baugrund-Archäologie (WiBA) in Marburg. Auch im weiteren Grabungsverlauf kamen zunächst lediglich ein paar angespitzte Holzpfähle, einige Tierknochen und eine Handvoll Keramik zum Vorschein. Insgesamt war die Ausbeute, gemessen an den Erwartungen, eher enttäuschend.

Doch kurz vor dem geplanten Ende der Grabung dann die Sensation: Im hintersten Winkel der Grabungsfläche kurz vor Spundwand für den Keller des Neubaus stießen die Archäologen auf ein ganzes Feld von Hölzern, zum Teil gebohrten Brettern, gedrechselten Holztellern und -bechern sowie auch auf Tierknochen und Keramik. Augenscheinlich wurden an dieser Stelle nach einem verheerenden Hochwasser Teile von zerstörten Mühlen und anderen früheren Gewerbebetrieben angespült. Der spektakulärste Fund dabei: eine löffelartige Mühlradschaufel aus Holz, vermutlich aus dem 8. oder 9. Jahrhundert. Das Besondere dabei ist die Bauart, die auf eine waagrechte (horizontale) Anordnung des Mühlrads hindeutet (Turbinenmühle). Solche Mühlen waren für die Zeit des Frühmittelalters bislang nur aus England und Irland bekannt. Der Fuldaer Fund dürfte der erste Nachweis einer solchen Mühlentechnik in Kontinentaleuropa sein. Die Mechanik gilt als besonderes robust, da sie ohne ein Umlenkgetriebe auskommt, allerdings ist ein höherer Wasserdruck zum Antrieb erforderlich. Besonderen Charme entwickelt in diesem Zusammenhang die These, dass die Technik zum Bau von Horizontalmühlen mit den Mönchen oder Handwerkern des Heiligen Bonifatius aus England nach Fulda gekommen ist – als eine frühe Form des europäischen Technologie-Transfers sozusagen. Die Vermutung muss nun noch wissenschaftlich unterfüttert werden, unter anderem durch die genaue Altersbestimmung der Funde. Schon jetzt ordnete Dr. Andreas Thiedmann vom Landesamt für Denkmalamt die Funde von der Langebrückenstraße unter die „TopTen“ der wichtigsten Funde der jüngsten Zeit in Deutschland ein.

In dem angeschwemmten „Treibgut“ an der Fulda wurden übrigens auch Reste einer Mühle in „herkömmlicher“ vertikaler Bauart gefunden. Insofern liegt die Vermutung nahe, dass Fulda-aufwärts mehrere Mühlen und möglicherweise auch Schlachtbetriebe oder Bauerhöfe angesiedelt waren, die durch ein markantes Hochwasserereignis zerstört wurden. Wann genau das war, ist noch unklar, aber es gibt aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhundert die schriftliche Überlieferung einer Flutkatastrophe aus dem Rhein-Main-Gebiet. Möglicherweise hatte dieses Extremwetter auch im Raum Fulda gehaust.

Zu den besonderen Funden der jüngsten Grabung an der Langebrückenstraße gehören auch verzierte karolingische Keramikteile, Kämme aus Knochen beziehungsweise Horn sowie ein sehr seltenes rot/grün gefärbtes Glas, vermutlich aus dem 8. oder 9. Jahrhundert. Geplant ist, dass all die aufsehenerregenden Funde nach der Untersuchung und Konservierung einmal in jedem Museum zu sehen sein werden, dessen Namensgeber Joseph Vonderau einst die Grundlagen für die archäologische Forschung in Fulda gelegt hat.