Ein Flohmarktfund aus Tann zeugt von der Shoa

Dr. Michael Imhof (links) hatte den Koffer an das Vonderau-Museum (hier Museumsleiter Dr. Frank Verse und Mitarbeiterin Franziska Becker) gespendet. Foto: Stadt Fulda

Das "Objekt des Monats Oktober" im Vonderau-Museum wurde von Dr. Michael Imhof zur Verfügung gestellt

FULDA, 29. September 2021: Am 11. Dezember 321 erließ der römische Kaiser Konstantin auf Anfrage aus Köln ein Edikt (Gesetz). Es legte fest, dass Juden städtische Ämter in den Kurien Kölns, also den römischen Stadträten, bekleiden dürfen und sollen. Damit gilt dieses Dekret als der älteste Beleg für die Existenz jüdischer Gemeinden auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Das Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ würdigen in diesem Jahr zahlreiche Veranstaltungen. Das Vonderau-Museum beteiligt sich mit der Präsentation eines kürzlich erworbenen Koffers, gespendet von Dr. Michael Imhof, der vom dunkelsten Kapitel jüdischen Lebens in Deutschland, der Shoah, zeugt, aber auch von erfolgreichem Unternehmertum und ehrenamtlichem Engagement.

Bei dem geräumigen Koffer handelt es sich um ein verbreitetes Modell eines Überseekoffers oder einer Reisetruhe in Jugendstil-Design, vom Hersteller, der Leipziger Koffermanufaktur Moritz Mädler, selbst als „Welt-Bahnkoffer“ aus Rohrflachsplatte beworben und in verschiedenen Größen erhältlich.

Die Welt bereist hat der 2020 auf einem Flohmarkt in Tann/Rhön aufgetauchte Koffer zweifelsohne, laut Aufkleber aufgegeben in Hamburg war er adressiert an Dr. R. F. Goldschmidt c/o Fromm u. Sichel, 218 West 57th Street in New York.

Während über Herrn Goldschmidt selbst leider nichts Gesichertes bekannt ist, finden sich in Form von Nachrufen Informationen über Fromm & Sichel in den Archiven der New York Times. Vermutet wird lediglich ein verwandtschaftliches Verhältnis zwischen Goldschmidt und Fromm. Alfred Fromm (1905-1998) stammte aus dem bayrischen Kitzingen und war Sohn einer Winzerfamilie aus Bingen am Rhein in vierter Generation. 1936 floh er vor den Nationalsozialisten und ermöglichte 37 Familienmitgliedern ebenfalls die Emigration in die USA, vermutlich war Herr Goldschmidt ein angeheirateter Verwandter. Dort gründete er Fromm & Sichel Inc. Gemeinsam mit Franz Sichel. Auch Sichel entstammte einer alten deutschen Winzer- und Weinhändlerfamilie in fünfter Generation, europaweit tätig mit Sitz in Mainz unter dem Namen Sichel & Co. Beide stiegen mit Fromm & Sichel unter die führenden Weinhändler der USA und Experten für kalifornische Weine auf. Überzeugt von deren hoher Qualität übernahmen sie in den 1950ern selbst Weinberge in Saragota. Darüber hinaus gründete Fromm nicht weniger als zwei Museen, das Weinmuseum in San Francisco sowie das Museum der dortigen jüdischen Gemeinde, und bekleidete zahlreiche Ehrenämter. Seine gründerischen Tätigkeiten setzte er gemeinsam mit seiner Frau Hanna mit einem nach ihm benannten Institut für lebenslanges Lernen fort und richtete ein Schwesterprogramm, das Fromm Institute, an der Hebräischen Universität in Jerusalem ein.

So unverhofft wie dieser geschichtsträchtige Koffer in Tann/Rhön auftauchte, finden sich vielleicht auch bei Ihnen noch Stücke mit jüdischem Bezug. Sollten Sie ein solches bei sich oder anderswo entdecken, melden Sie sich gerne beim Vonderau Museum unter Tel. (0661) 102-3220 oder per E-Mail an judith.mader(at)fulda.de.

Weitere Informationen zum Jubiläum „1700 Jahre jüdischen Leben in Deutschland“ finden Sie im Internet unter www.2021jlid.de

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